55
Pläne innerhalb von Plänen innerhalb von Plänen – wie eine unendliche Reihe ineinander reflektierter Spiegelbilder. Nur ein überlegener Geist ist imstande, alle Ursachen und Wirkungen zu erkennen.
Khrone,
Mitteilung an die Gestaltwandler-Myriade
Die seltsame Delegation von weit, weit draußen traf auf Caladan ein, um sich mit Khrone zu treffen. Die Leute mussten sich nicht identifizieren, als sie von seinen Fortschritten mit den Gholas erfahren wollten, dem Baron und Paul, den sie »Paolo« nannten. Khrone hatte bereits, was der alte Mann und die alte Frau haben wollten, einen kleinen Jungen mit allem notwendigen Potenzial in den Genen. Einen Kwisatz Haderach.
Doch statt den Gestaltwandler zu loben, schauten die fernen Puppenspieler ihm über die Schulter, beobachteten ihn bei allem, was er tat. Sie wollten die vollständige Kontrolle, was Khrone ihnen übelnahm. Die Myriade der Gestaltwandler hatte in den Jahrtausenden ihrer Existenz schon zu oft unter der Dominanz von Dummköpfen leiden müssen.
Trotzdem hielt er sie hin. Er wusste, wie er mit diesen Außenseitern umzugehen hatte.
Nach dem Gildenmanifest und ihren sorgfältig gearbeiteten Identifikationsglyphen stammten diese bizarr ausgestatteten Menschen angeblich von Ix – eine akzeptable Tarngeschichte, die jedem, der sie zufällig sah, ihr ungewöhnliches Erscheinungsbild plausibel erklärte. Khrone jedoch wusste, dass sich diese Technik aus einer völlig andersartigen Keimzelle entwickelt hatte, dass diese Botschafter von einem erheblich ferneren Ort stammten, wo die Welle der menschlichen Diaspora gegen die Bollwerke des Feindes geschwappt war.
In der Vergangenheit hatten die aufdringlichen Meister ihn über ihr Verbindungsnetz belästigt, doch nachdem es offenbar in jüngster Zeit beschädigt worden war, zogen die zwei fernen Wächter eine zuverlässigere Kommunikationsmethode vor. Der alte Mann und die alte Frau hatten diese ... Monstrositäten geschickt. Er fragte sich, ob die angeblichen Meister ihn tatsächlich einzuschüchtern beabsichtigten ... ihn! Der Anführer der Gestaltwandler lächelte über die bloße Vorstellung, als er sich zum Treffen mit der Delegation auf den Weg machte.
Im hohen Foyer der restaurierten Burg Caladan wählte Khrone ein Erscheinungsbild, das wie eins der alten archivierten Gemälde von Herzog Leto Atreides aussah. Er legte steife graue Kleidung in antikem Stil an, überprüfte sein Äußeres in einem hohen, in Goldplaz gerahmten Spiegel und verschränkte die Hände hinter dem Rücken, als er den breiten Wasserfall der Treppenstufen zum hallenden Saal hinunterstieg. Er blieb auf der untersten Stufe stehen, setzte ein nichtssagendes Lächeln auf und wartete gelassen darauf, die sechs Männer empfangen zu können.
Die narbigen, blasshäutigen Repräsentanten waren offensichtlich ungehalten wegen der körperlichen Anstrengung, weil sie den steilen Weg vom Raumhafen zu Fuß hatten erklimmen müssen. Khrone hatte jedoch nicht die Absicht, es ihnen leichter zu machen. Er hatte nicht um ihr Erscheinen gebeten und wollte ihnen nicht den Eindruck vermitteln, willkommen zu sein. Wenn das Tachyonennetz beschädigt war, konnten der alte Mann und die alte Frau vielleicht keine Schmerzwellen mehr senden, um ihn zu beeinflussen. Dann konnten die Gestaltwandler endlich ungestraft ihre eigenen Interessen verfolgen.
Oder vielleicht auch nicht. In dieser ungewissen Situation entschied Khrone, die Rolle des Unterwürfigen noch eine Zeit lang weiterzuspielen.
Nachdem sich die seltsam aussehenden Botschafter zu einer Gruppe angeordnet hatten, blickte Khrone von der Treppe zu ihnen hinab. »Informieren Sie Ihre Vorgesetzten, dass Sie wohlbehalten eingetroffen sind.« Er nahm die Hände nach vorn und ließ die Fingerknöchel knacken. »Und teilen Sie ihnen bitte auch mit, dass die Schäden an Ihren Körpern nicht auf ein Verschulden meinerseits zurückgehen.«
Sie schauten ihn verwirrt an. »Schäden?« Die haarlosen Männer hatten eine blasse Haut, die einen öligen Schimmer aufwies. Verschiedene Apparaturen waren in ihre Schädel und die Oberkörper implantiert: primitive elektronische Messgeräte, Schläuche, Gedächtnisspeicher, Anzeigelampen. Unverheilte rote Wundränder umgaben die Implantate. Das alles machte einen schrecklich rückschrittlichen Eindruck, sodass Khrone sich fragte, ob es sich nur um einen subtilen, unverständlichen Scherz handelte, den der alte Mann sich erlaubt hatte. Sie hatte einen deutlich verschrobeneren Sinn für Humor als ihr hochbetagter Gefährte. »Schäden? Das alles ist Absicht.«
»Hmm. Interessant. Sie haben mein volles Mitgefühl.«
Die mechanischen Zusätze waren so primitiv, dass sie wie das missglückte biotechnische Experiment eines Kindes aussahen. Ja, dachte Khrone, es muss ein Scherz sein. Die alte Frau scheint sich wahrlich zu langweilen.
»Wir sind gekommen, um zu beobachten und aufzuzeichnen.« Der Sprecher löste sich aus der Gruppe und trat vor. Dunkle Flüssigkeit zirkulierte durch die Röhren an der Kehle dieses Wesens und wurde zu einer Pumpe hinter seinen Schultern geleitet. Seine Augen hatten eine dunkelblaue metallische Färbung und waren völlig ohne Weiß. Ein weiterer Scherz, der andeuten sollte, dass er melangesüchtig war?
»Die beiden müssen zutiefst enttäuscht sein, dass sie das Nicht-Schiff verloren haben. Ein weiteres Mal.« Khrone gab den Repräsentanten mit einem Wink zu verstehen, dass sie den großen Saal der Burg betreten sollten. »Ich hoffe sehr, dass Ihre Meister ihre Enttäuschung nicht an mir auslassen wollen. Wir Gestaltwandler leisten hervorragende Arbeit, wie befohlen.«
»Die Gestaltwandler sollten größere Demut an den Tag legen«, sagte ein anderer Delegierter.
Khrone zog die Augenbrauen hoch. Er fragte sich, ob dieser Gesichtsausdruck zu Herzog Leto gepasst hätte. »Habe ich meine Pflichten als Gastgeber vernachlässigt? Möchten Sie, dass ich Ihnen Erfrischungen serviere? Oder ein Festmahl?« Er beherrschte sein Lächeln. »Oder benötigen Sie eine längst überfällige Wartung?«
»Wir ziehen es vor, unsere Zeit mit dem Sammeln und Auswerten von Daten zu verbringen, damit wir bei unserer Rückkehr einen aussagekräftigen Bericht abliefern können.«
»Ich werde mich bemühen, Ihnen eine möglichst frühe Abreise zu ermöglichen.« Khrone führte die Botschafter zu den Labors der Burg. »Zum Glück läuft alles andere – abgesehen vom entkommenen Nicht-Schiff und dem beschädigten Netz – ungewöhnlich reibungslos. Hier im Alten Imperium sind meine Gestaltwandler damit beschäftigt, die Fundamente der menschlichen Zivilisation zu unterminieren. Wir haben jede größere Machtgruppierung infiltriert und damit begonnen, sie gegeneinander auszuspielen.«
»Wir benötigen Beweise für Ihre Behauptungen.« Ein seltsamer Geruch ging vom Körper des ersten Repräsentanten aus – nach ätzenden Chemikalien, mangelhafter Mundpflege und einsetzender Verwesung.
»Dann öffnen Sie die Augen!« Khrone blieb unvermittelt stehen, beruhigte seine Stimme und fuhr ein wenig entspannter fort. »Ich lade Sie ein, zu verschiedenen Welten des Alten Imperiums zu reisen. Ihr Aussehen mag auf die meisten Menschen erschreckend wirken, aber es sind genug Abartigkeiten aus der Diaspora zurückgekehrt, sodass niemand allzu viele Fragen stellen wird. Ich kann Ihnen eine Liste der wichtigsten Planeten und Hinweise geben, wonach Sie Ausschau halten sollten. All diese Welten werden wie Kartenhäuser zusammenbrechen, sobald die militärische Streitmacht von außen eintrifft. Haben Ihre Meister die Kampfflotte bereits gestartet, oder wollen sie warten, bis sie den Kwisatz Haderach in ihrer Gewalt haben?«
»Es steht uns nicht zu, darüber zu reden«, sagten drei Vertreter im Chor. Ihre technisch verstärkten Bewusstseine waren gekoppelt, und ihre Stimmen vereinten sich zu einem mehrfachen unheimlichen Echo.
»Dann machen Sie es mir sehr schwer, meine Aktivitäten zum Abschluss zu bringen. Warum sollten Ihre Meister mir lebenswichtige Informationen vorenthalten?«
»Vielleicht vertrauen sie Ihnen nicht«, sagte ein anderer aus der Delegation. »Ihre bisherigen Fortschritte waren nicht sehr beeindruckend.«
»Nicht sehr beeindruckend?« Khrone schnaubte. »Ich habe den Ghola von Baron Harkonnen, und ich habe den Ghola von Paul Atreides. Das ist garantiert.«
Am Eingang zu den Laborräumen mit den dicken Wänden entriegelte und öffnete Khrone eine schwere Tür. Drinnen sprang ein leicht übergewichtiger Zehnjähriger auf die Beine und blickte sich mit Schweinsäuglein um, als hätte man ihn bei etwas erwischt, das er eigentlich nicht tun sollte. Der Junge fasste sich schnell und kicherte, fasziniert von den grausam verunstalteten Beobachtern.
Khrone sprach kein Wort zum Ghola, sondern drehte sich wieder zu den sechs Repräsentanten um. »Wie Sie sehen, stehen wir kurz vor dem Beginn der nächsten Phase unseres Plans. Ich rechne damit, dass wir in Kürze die Erinnerungen des Barons wiedererwecken.«
»Ihr könnt es versuchen«, fauchte der Junge ihn an, »aber ihr habt mich noch nicht davon überzeugt, dass es auch für mich gut ist. Warum lasst ihr mich nicht mit dem kleinen Paolo spielen? Ich weiß, dass er hier irgendwo auf Caladan ist.«
»Wozu genau benötigen wir den Baron Harkonnen überhaupt?«, fragte einer der Delegierten, ohne auf den Jungen einzugehen. »Unsere Meister sind nur am Kwisatz Haderach interessiert.«
»Der Baron wird uns helfen, die Angelegenheit besser unter Kontrolle zu bringen. Er wird wie eine Brechstange auf den Paolo-Ghola wirken. Nachdem er wieder er selbst geworden ist, wird unser Baron ein wertvolles Werkzeug sein, um die Kräfte des Übermenschen zu entfesseln. Historisch betrachtet ist das Problem mit dem Kwisatz Haderach das der Kontrolle. Wenn er uns bei Paolos Entwicklung hilft, wird der Baron zweifellos dazu beitragen, dass wir ihn im Griff haben.«
Der junge Mann grinste die Neuankömmlinge an. »Ihr seid ziemlich hässlich. Was passiert, wenn man diese Schläuche rauszieht?«
»Er macht keinen sehr kooperativen Eindruck«, stellte einer der Delegierten fest.
»Das wird sich bessern. Die Wiedererweckung der Erinnerungen eines Gholas ist ein sehr schmerzhafter Prozess«, sagte Khrone, der den jungen Harkonnen immer noch ignorierte. »Ich freue mich bereits auf diese Phase.«
Der Ghola stieß ein schrilles Gelächter aus, das wie sich verbiegendes Metall klang. »Ich kann es kaum abwarten, dass du es versuchst.«
Khrone blieb an der Tür stehen und achtete darauf, dass alle Sicherheitssysteme aktiviert waren, da der launische Baron immer wieder zu bösen Streichen neigte. Dann führte er die Delegation der menschlichen Albträume in einen anderen Raum und verschloss sorgfältig die Kammer, die sie verlassen hatten. Er wollte nicht, dass Wladimir Harkonnen sich frei bewegen konnte.
»Unser Atreides-Ghola macht gute Fortschritte.«
Bevor sie den Hauptsaal der Burg betraten, wandte Khrone den zusammengestückelten Leuten seinen kühlen Blick zu. »Unser Sieg ist vorherbestimmt. Bald werde ich mich nach Ix begeben, um eine weitere Stufe des Plans umzusetzen.« Khrone meinte den Sieg für die Gestaltwandler, aber die Botschafter konnten seine Worte interpretieren, wie sie wollten. »Der Rest ist dann nur noch Formsache.«